Achtsamkeit in Zeiten von Corona

Kommentar

Die Corona-Krise hat drastische Auswirkungen.

Unser Alltag verändert sich total. Vertrautes bricht weg. Wie kann menschliches Miteinander trotzdem gelingen? Ein Plädoyer für Achtsamkeit von Dagmar Herbrecht

Ein Haufen Konstruktionsholz, Reste von einem abgeschlossenen Projekt. Was soll ich damit bloß anfangen? Eine Idee wächst. Also ausmessen, zusägen, lasieren und zusammenbauen. Die einzelnen Holzteile verbinden sich zu einer Form, die Idee nimmt Gestalt an. Dann ein Teil, das nicht passt. Und noch eines. Ich muss die Konstruktion komplett auseinandernehmen und neu aufbauen. Am Ende gefällt mir, was ich sehe.

Ich schreibe diese Zeilen in den ersten Wochen, in denen das Corona-Virus das gesellschaftliche Leben in Deutschland nachhaltig verändert. Wir müssen voneinander Abstand halten und sollen möglichst zu Hause bleiben. Noch ist ein Spaziergang möglich, um die eigenen Abwehrkräfte zu stärken. Nie bin ich so oft angelächelt worden. Wer mir begegnet, macht einen Bogen um mich. Und umgekehrt. Das Lächeln nimmt das Signal „Bleib mir fern“ zurück. Wir fangen an. Unsicher üben wir den Kontakt auf Abstand. Die Achtsamkeit gefällt mir. Unser Zusammenleben ist auseinandergenommen. Die Folgen der Corona-Krise verändern Wirtschaft und Politik.

Und es verändert sich die Art und Weise, wie wir leben können. Vieles, was in unserem Alltag selbstverständlich war, funktioniert plötzlich nicht mehr. Wir tasten und fangen an, neue Regeln einzuüben. Die Ausbreitung des Virus muss verlangsamt werden, um die Schwachen zu schützen. „Alles, was ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr für mich getan“, sagt Jesus (Mt 25,40). Die Geschichten im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums skizzieren, wie die Welt Gottes von der Schöpfung an gedacht ist. In eindrücklichen Bildern zeigen sie, wie aus Achtsamkeit Gerechtigkeit und Solidarität entstehen. Achtsamkeit ist eines der großen biblischen Themen. Achtsamkeit für die Kranken, die Geringverdiener und die Fremden, Achtsamkeit für alle, die Unterstützung brauchen. Wird es unserer Gesellschaft gelingen, in den Modus der Achtsamkeit umzuschalten? Vieles deutet darauf hin. Daran, wie wir uns während der Pandemie verhalten, entscheidet sich, wie wir danach als Gesellschaft neu anfangen.

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